von Erdoğan Altındiş
Die Freiheit über den Dächern von Istanbul
Der Blick aus der Wohnung TOPKAPI erinnert mich an jene Tage vor 25 Jahren, als ich auf der Terrasse der ersten Wohnung stand, mit der Absicht diese in Istanbul zu kaufen. Damals spürte ich, dass meine Sehnsucht hier gestillt werden kann, hier lag mir diese Stadt zu Füssen, ausgebreitet in ihrer vollen Pracht, Unendlichkeit und ihrer Schönheit. Hier hoch über den Dächern von Istanbul bekamen damals meine Gedanken Flügel. Ich war angekommen. Es gab keine Fragen mehr als ich am 19. Juni 1996 das «Tapu», die Eigentumsurkunde meiner Wohnung, in der Hand hielt. Und jetzt, ein Viertel Jahrhundert später, stehen meine Frau Gabriele und ich vereint und betrachten zusammen diese Stadt und uns erfüllt ein Gefühl der Dankbarkeit. Wenn ich mich an diese besonderen Momente der Vergangenheit erinnere, spielt die gegenwärtige Situation der Pandemie, nicht mehr die Hauptrolle, denn sie ist nur ein Teil des Ganzen.
Ab 19. Juni 1996 sollte sich mein Leben Schritt für Schritt ändern. Ich habe mich in den Bosporus-Strudel geworfen, und immer, wenn ich das Gefühl hatte, dass mich der Sog zu sehr durchwirbelte, fand ich mich in den sanften Wellen der Münchner Isar wieder. Da meine Freunde und Bekannte, bei ihren Besuchen in Istanbul, von der Aussicht so begeistert waren und auch sie sich diese magischen Momente mit Ihren Liebsten teilen wollten, überließ ich ihnen meine Wohnung. Sie zahlten mir sogar Geld dafür, dass sie dort wohnen durften. Das sprach sich in kürzester Zeit herum, sogar Journalisten berichteten über diesen Geheimtipp «Wohnen über den Dächern von Istanbul». Und so nahm die Geschichte von MANZARA ihren Lauf…
Die Aussicht über die funkelnde Stadt hat sie alle in den Bann gezogen und diese Aussicht war es dann auch, was zu MANZARA geführt hat. Ich habe mit jedem Besucher Spass gehabt, denn die persönlichen Begegnungen haben dazu geführt, dass wir die gegenseitige Begeisterung dafür genutzt haben, um neue kreative Gedanken auszutauschen. Gäste, ob Grafiker*innen, Fotograf*innen, Marketingfachleute, haben sich eingebracht und ihre wertvolle Arbeit, ihre kreativen Ideen und ihre Tipps haben zur Entwicklung des Projekts beigetragen.
Was mich aber am aller meisten begeistert hat, waren die Menschen selbst, die als Gäste zu uns gekommen waren. Es haben sich im Laufe der Zeit Freundschaften entwickelt, für die ich jetzt ebenfalls Dankbarkeit verspüre.
Jetzt wird es mir noch bewusster, was wirklich wichtig im Leben ist, Freundschaften, Beziehungen zu anderen Menschen und gemeinsame Erlebnisse. Und wenn man so etwas mit seinem Unternehmen verknüpfen kann, dann ist das das Beste was einem passieren kann. Wir mussten uns nicht mehr auf die Suche nach Mitarbeiter*innen, nach Fachleuten, nach Künstler*innen, nach kreativen Menschen machen. Sie kamen alle von ganz alleine zu uns. Und wir konnten in unserem Rezeptionscafé entscheiden an welchem Tisch wir Platz nehmen wollten, mit wem wir ins Gespräch kommen wollten. Die Auswahl war riesig, die Entscheidung fiel manchmal schwer.
Als Jugendlicher, und als Student, habe ich in Deutschland davon geträumt an einem Ort zu leben und zu arbeiten, an dem ich meine beiden Kulturen jeden Tag zur gleichen Zeit leben kann. Und just in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich bereits mittendrin in diesem Bild lebe. Aber viel besser, viel lebendiger als dieser Jugendtraum. Ich konnte jederzeit wechseln: mal Türke sein, dann wieder deutsch werden. Schon als elfjähriges Kind hatte ich angefangen, bei meinem Vater auf der Baustelle, den anderen Arbeitern, bei Behörden und Arztbesuchen zu übersetzen. Es hatte mich damals schon fasziniert, wenn die Menschen sich über mich verständigen konnten. Und ich fühle mich immer noch am wohlsten, wenn ich DAWISCHEN bin, wenn ich eine Brücke sein kann, auf der sich zwei Seiten hin und her bewegen können.
Auch Gabi, meine Frau, stand irgendwann vor der Tür am Galataturm und schnell merkten wir, dass wir füreinander bestimmt waren. «Beginne wie ein Türke, vollende wie ein Deutscher!» besagt ein Sprichwort. In dieser Aufbruchstimmung hat unsere Liebe, der besondere Zauber der Stadt und die interkulturelle Kombination eine besondere Kraft, Energie und Dynamik freigesetzt, mit der wir uns dann gemeinsam, unermüdlich, und mit Begeisterung als Gastgeber und Kulturvermittler unsere MANZARA-Vision sowie unseren Freund*innen und Gästen widmeten.
Jetzt, wenn ich mich hier, in dieser besonderen Zeit, zurückerinnere, denke ich, dass all diese Entwicklung unseres Unternehmens mit unseren besonderen Gästen wie Geschenke sind und waren. Man würde heute sagen, es war alles im Fluss und im Moment fühle ich auch in dieser schwierigen Zeit ein gewisses Vertrauen, dass sich alles zum Guten wenden wird. Über mehrere Wochen hatten wir diese strengen Ausgangssperren an den Wochenenden und Feiertagen. Die Stadt stand wirklich still. Es gab Momente, da bewegte sich über Stunden kein einziges Fahrzeug auf dem Bosporus. Diese Stille «höre» ich noch immer.
Von der Topkapi Terrasse kann man auch auf die Terrasse der Wohnung Bosporus schauen. Dort hatte alles angefangen und nun nach 25 Jahren stehen wir stolz und zufrieden auf der schönsten Terrasse von ganz Istanbul und fühlen diese Glück in uns, dass wir die Schönheit mit anderen Menschen teilen wollen.
So oft es geht, meditiere ich jetzt immer in der Wohnung Topkapi. Sie ist mir im Laufe dieser Ausnahmezeit einmal mehr richtig ans Herz gewachsen. Ich kann jetzt verstehen, warum diese Wohnung trotz der 111 Stufen eine der beliebtesten der Manzara-Wohnungen geworden ist. Durch jede Öffnung der Wohnung kann man über die Stadt blicken, zu jeder Tages- und Nachtzeit ändert sich die Stimmung. Es ist so als ob man auf eine Klippe steht und man kann jeden Punkt von hier aus betrachten. Ich kann sogar, aus voller Überzeugung sagen, dass der Ausblick diese Wohnung noch schöner ist als der vom Galataturm. Denn von hier aus sieht man selbst den Turm in seiner vollen Pracht.
Im Laufe der letzten Monate konnte sich hier sogar mein inneres Kind wieder voll entfalten und bewegen. Die vielen kunstvollen Drachen, die ich für meine Ausstellung gemacht habe, wurden nach und nach in den Himmel geschickt. Wenn Freund*innen und Bekannte meine Frau fragten, was ich gerade mache, antwortete sie immer schmunzelnd, «er ist wieder in seinem Spielzimmer».
Mit der Schnur in der Hand, der Sonne im Rücken und der Stadt vor mir – was für eine Freiheit. Dass ich diese Freiheit während dieser unglücklichen Zeit spüren konnte und durfte, ist etwas ganz besonderes. Diese freudigen Momente sind genauso unerwartet geschehen, wie die Pandemie, die uns alle so plötzlich aus dem Rhythmus warf. Das Leben hat besondere Überraschungen, für die man wohl immer offen sein sollte.
Manzara Istanbul ist Mitträger des Kulturstipendiums Armin Meienberg. Erdoğan Altındiş und Gabriele Kern-Altındiş sind Teil der Fachjury und Gastgeber*innen unserer Stipendiat*innen in Istanbul. Mehr über Manzara Istanbul.